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Automatisierung in Luxemburg 2025: Trends, die die Großregion prägen

Automatisierungstrends 2025 in Luxemburg und der Großregion: Husky, Goodyear und IEE investieren Hunderte Millionen Euro, während der Fachkräftemangel (335.000 Arbeitskräfte bis 2040) die Automatisierung zur strategischen Notwendigkeit macht.

David Prybisch
14 Min. Lesezeit
Automatisierung in Luxemburg 2025: Trends, die die Großregion prägen

1.Einleitung

Die Großregion Saar-Lor-Lux steht 2025 vor einer doppelten Transformation: der digitalen und der ökologischen Wende. Was global als „Twin Transition" bezeichnet wird, nimmt in unserer Region eine einzigartige Form an – geprägt durch 231.290 Grenzpendler, eine KMU-dominierte Wirtschaft und massive Investitionen in Automatisierung.

Die Handelskammer Luxemburg beziffert den Bedarf deutlich: 335.000 zusätzliche Arbeitskräfte bis 2040. Dieser Mangel ist der stärkste Treiber für Automatisierungsinvestitionen. Gleichzeitig fließen Milliarden in konkrete Projekte: IEE investiert €30 Mio. in Manufacturing 4.0, Goodyear €71 Mio. in digitale Fertigung, Amazon €1,8 Mrd. in die luxemburgische Infrastruktur.

Als Automatisierungsingenieur mit Sitz in Stadtbredimus beobachte ich diese Entwicklungen täglich. In diesem Artikel teile ich die sechs wichtigsten Trends für 2025 – basierend auf verifizierten Investitionen und konkreten Projekten.

2.Trend 1: KI-gestützte Automatisierung wird Mainstream

2025 ist das Jahr, in dem Künstliche Intelligenz den Sprung aus dem Forschungslabor in die Produktionshalle schafft. In Luxemburg zeigen drei Unternehmen, wie das konkret aussieht.

2.1.Husky Technologies: FEDIL Innovation Award 2024

Der Spritzgießsystem-Hersteller in Dudelange wurde mit dem FEDIL Innovation Award 2024 in der Kategorie „Prozess" ausgezeichnet. Das Projekt „Plate Line Automation" demonstriert die Konvergenz von Robotik und Digitalisierung:

  • Fahrerlose Transportsysteme (AGVs) mit bis zu 5 Tonnen Traglast ersetzen den Gabelstaplerverkehr
  • Robotergestütztes Tieflochbohren automatisiert zuvor fehleranfällige manuelle Prozesse
  • Digitale Zwillinge simulieren den Fertigungsprozess in Echtzeit für Predictive Maintenance

Husky entwickelte gemeinsam mit Siemens und der luxemburgischen Regierung das „Next Generation Operating Model" (NGOM) – eine vollständig digitalisierte End-to-End-Fertigungsausführung.

2.2.Cebi Luxembourg: 6-Sekunden-Zykluszeit

Cebi hat eine vollautomatische Roboter-Produktionslinie für Motortemperatursensoren in Betrieb genommen. Mit einem Zyklus von nur sechs Sekunden pro Sensor positioniert sich das Unternehmen als europäischer Marktführer. Die Anlage wurde von der Cebi-Tochter Bimatic entwickelt – ein Beispiel für die vertikale Integration, die luxemburgische Unternehmen auszeichnet.

2.3.Goodyear Dudelange: €71 Mio. für Mercury-Prozess

Der „Mercury"-Prozess nutzt additive Fertigung, um Reifen viermal schneller als im Standardverfahren herzustellen. Die €71 Mio. Investition umfasst:

  • Digitale Fertigungsanlage mit rund 500.000 Reifen Jahreskapazität
  • Fünfjahres-Forschungsprojekt mit LIST zu nachhaltigen Materialien
  • Integration der „SightLine"-Technologie – Sensoren im Reifen, die dem ABS präzise Straßenzustandsdaten liefern

3.Trend 2: Edge Computing erobert die Smart Factory

Die Datenverarbeitung verlagert sich zurück an den Rand des Netzwerks, direkt an die Maschinen. Luxemburg ist mit 16 Rechenzentren von acht Betreibern ein europäischer Daten-Hub – und das SmartSpires-Projekt zeigt, wohin die Reise geht.

SmartSpires Edge Computing Tower in Belval mit 5G-Antennen und IoT-Sensoren

3.1.SmartSpires: €3,1 Mio. Edge-Computing-Pilotprojekt in Belval

Das größte Edge-Computing-Pilotprojekt Luxemburgs entsteht am Innovation Campus Belval. Mit Förderung der EU Connecting Europe Facility entwickeln Gcore, 5SKYE, LIST und Orange Luxembourg intelligente Türme mit:

  • Integriertem 5G und Edge Computing
  • IoT-Sensoren für Echtzeit-Datenerfassung
  • Vier Anwendungsfälle: Mobilitätsdienste, Crowd-Analytik, Abfallwirtschaft, Smart City Living Lab

3.2.Warum Edge für die Industrie entscheidend ist

In der Qualitätskontrolle oder Robotersteuerung machen Millisekunden den Unterschied. Edge-Devices reduzieren die Reaktionszeit von 150-200ms (Cloud) auf unter 20ms.

Datensicherheit ist der zweite Treiber: Viele Produktionsdaten dürfen aus rechtlichen oder Wettbewerbsgründen nicht in die Cloud. Edge Computing hält sensible Daten lokal und erfüllt gleichzeitig DSGVO-Anforderungen.

3.3.OPC UA: Der Industriestandard für Interoperabilität

Der Luxembourg Digital Innovation Hub (L-DIH) organisierte 2024 ein Webinar zu „OPC UA: Interoperability from Sensor to IT". Der Standard (IEC 62541) ist das größte Ökosystem für industrielle Interoperabilität:

  • 42.000+ OPC-Produkte von 5.200+ Anbietern
  • 52 Mio.+ Anwendungen weltweit
  • 60+ VDMA-Arbeitsgruppen für branchenspezifische Companion Specifications

Die umati-Initiative präsentiert auf der Hannover Messe 2025 die erste globale Manufacturing-X-Lösung mit offenen Standards.

4.Trend 3: Fachkräftemangel zwingt zu grenzüberschreitenden Lösungen

Der Elefant im Raum: 47% aller Beschäftigten in Luxemburg sind Grenzgänger – 125.000 aus Frankreich, weitere aus Belgien und Deutschland. Diese einzigartige Verflechtung macht die Großregion zu einem integrierten Automatisierungs-Ökosystem.

Robotik-Forschungslabor für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen ZeMA, Universität Luxemburg und Lorraine

4.1.Grenzüberschreitende Forschung: Robotix-Academy und TERMINAL-Projekt

Die Robotix-Academy vereint als permanenter Forschungscluster für industrielle Robotik:

  • ZeMA Saarbrücken
  • Universität Luxemburg (SnT)
  • Université de Liège
  • Université de Lorraine
  • Umwelt-Campus Birkenfeld

Fokus: Mensch-Roboter-Kollaboration und Technologietransfer für KMU.

Das TERMINAL-Projekt (Interreg VA, €3 Mio.) testet als weltweit erstes praktisches Pilotprojekt grenzüberschreitende automatisierte Kleinbusse im regulären ÖPNV. Die Route verbindet Überherrn (DE) mit Creutzwald (FR).

4.2.ZeMA Saarbrücken: Das Forschungszentrum der Region

Das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik ist mit über 90 Mitarbeitern und einem 4.000 m² großen Testfeld das führende Forschungszentrum. Industriepartner: Airbus, BMW, Bosch, Daimler, Festo, Ford, Miele, Porsche, VW und ZF.

Das gemeinsame Zentrum Power4Production (P4P) mit dem DFKI fokussiert auf Mensch-Roboter-Kooperation und cyber-physische Produktionssysteme. Das RICAIP Testbed bietet im MRK4.0-Labor über 25 Roboter verschiedener Typen für Tests und Entwicklung.

4.3.Mehrsprachigkeit als Wettbewerbsvorteil

Fast die Hälfte aller Stellenangebote in Luxemburg erfordern Kenntnisse aller drei Amtssprachen. In der Industrie dominiert Französisch im Arbeitsalltag, während Deutsch in technischer Dokumentation präsent ist. Für Automatisierungsingenieure bedeutet das: Mehrsprachige HMI-Oberflächen sind Pflicht, nicht Kür.

5.Trend 4: Retrofit vor Neuinvestition

Bei 88,6% Kleinstunternehmen in Luxemburg sind skalierbare, kostengünstige Retrofit-Ansätze relevanter als Greenfield-Investitionen. Das Fraunhofer-Institut und ZeMA zeigen, wie das praktisch funktioniert.

Retrofit-Szenario: Ältere Industriemaschine mit nachgerüsteten IoT-Sensoren und Edge-Gateway

5.1.Fraunhofer IOSB-INA: Skalierbare Retrofit-Lösungen

Das Fraunhofer-Institut in Lemgo entwickelt mobile Datenerfassungssysteme für Industrie 4.0-Retrofit:

  • INArice: Modulare IoT-Gateways für ältere Steuerungen
  • INAsense: Plug-and-Play-Sensorkits
  • INAcarry: Mobile Datenerfassung

Der Ansatz: Bestehende Maschinen mit Sensoren zu cyber-physischen Systemen aufrüsten, ohne kostenintensive Neuinvestitionen. Der kostenlose „Digitalisierungsbaukasten" des Fraunhofer IPA bietet Methodik, physische Elemente und Softwarekomponenten.

5.2.Warum Retrofit 2025 dominiert

Die Gründe sind wirtschaftlich und ökologisch:

  • Hohe Zinsen erschweren Finanzierung von Großprojekten
  • Lieferzeiten 12-18 Monate bei Maschinenbauern
  • Retrofit-ROI: 18-24 Monate vs. 4-6 Jahre bei Neuanlagen
  • 80% weniger CO₂-Emissionen im Vergleich zu Neuproduktion
  • EU-Taxonomie-konform für nachhaltige Investitionen

5.3.Konkrete Retrofit-Technologien

Moderne Nachrüstlösungen ermöglichen Industry 4.0-Standards ohne Produktionsausfall:

  • Plug-and-Play IoT-Gateways für ältere Siemens S5/S7-300-Steuerungen
  • Retrofit-Kits für Roboter: Neue Steuerungen für ABB, KUKA-Altgeräte
  • Edge-Devices für Maschinenanbindung ohne SPS-Eingriff

6.Trend 5: NIS2 und OT-Security – Handeln, aber keine Panik

Die NIS2-Richtlinie erweitert den Anwendungsbereich auf das verarbeitende Gewerbe, Lebensmittelproduktion und Logistik. Aber: In Luxemburg ist das Gesetz noch nicht umgesetzt.

OT-Security Infrastruktur: Industrial Firewall, Netzwerk-Segmentierung und IDS/IPS für NIS2-Compliance

6.1.Status quo NIS2 in Luxemburg

  • Gesetz 8364 wurde am 13. März 2024 im Parlament eingereicht
  • Befindet sich in Ausschussberatungen
  • Umsetzung erwartet: Ende Q2 2025
  • EU-Kommission hat am 28. November 2024 Mahnschreiben wegen Fristversäumnis geschickt

Der Anwendungsbereich erweitert sich von etwa 1.000 auf 6.000-8.000 Organisationen, einschließlich mittelständischer Hersteller.

6.2.Was sich konkret ändert

  1. Security by Design: Steuerungen müssen ab Werk sichere Kommunikation (TLS 1.3) unterstützen
  2. Zugriffskontrollen: Role-Based Access Control (RBAC) wird Mindeststandard
  3. Meldepflichten: 24-Stunden-Erstmeldung an die zuständige Behörde
  4. Sanktionen: Bis €10 Mio. oder 2% des weltweiten Umsatzes

6.3.Praktische Umsetzung

Die zuständigen Behörden in Luxemburg:

BehördeNIS2-Rolle
ILRPrimäre NIS2-Aufsichtsbehörde
CSSFFinanzsektor-Entitäten
GOVCERT.LUCSIRT für Regierung und kritische Infrastruktur
CIRCLCSIRT für Privatsektor, Kommunen, NGOs

Die SERIMA-Plattform des ILR ermöglicht Selbstregistrierung und Incident-Reporting. Die MONARC-Methodik des NC3 bietet standardisierte Risikoanalyse – ein guter Startpunkt für die Vorbereitung.

6.4.Lösungsansatz für Bestandsanlagen

Viele ältere SPS-Systeme erfüllen die neuen Anforderungen nicht. Ein stufenweiser Ansatz:

  1. Netzwerk-Segmentierung (VLANs)
  2. Firewall-Regeln für OT-Netzwerke
  3. VPN-Zugriff statt offener Port-Weiterleitungen
  4. Security-Monitoring mit IDS/IPS-Systemen

7.Trend 6: Logistik-Automatisierung als Leuchtturm-Sektor

Luxemburg ist der fünftgrößte Cargo-Hub Europas. Der Logistiksektor zeigt, was in der Automatisierung möglich ist – mit konkreten Investitionen von über €1 Mrd. bis 2032.

Luxcargo Findel: Automatisierte ULD-Handling-Anlage mit Regalbediengeräten und Boeing 747 im Hintergrund

7.1.Luxcargo Handling: Europas modernste Frachtabfertigung

Das 58.000 m² große Cargo-Center am Findel – das achtgrößte Europas – setzt Maßstäbe:

  • 1.640 automatisierte Unit Load Devices (ULDs)
  • Automatisierte ULD-Stapelung, -Entnahme und -Beladung
  • Durchschnittliche Transitzeit: 8 Stunden
  • B747-Turnaround in 2 Stunden

2025 wird das neue Frachtabfertigungssystem „iCargo" von IBS Software implementiert – Echtzeit-Datenerfassung, papierlose Dokumentation und direkte Schnittstellen zu Kunden und Zollbehörden.

7.2.CFL-Terminal Bettembourg-Dudelange

CFL Intermodal Terminal Bettembourg mit ferngesteuerten Portalkränen und Container-Zügen

Das intermodale Terminal gehört zu den modernsten Europas:

  • 33 Hektar Fläche
  • 3 ferngesteuerte Portalkräne
  • 4 Gleise à 700 Meter
  • Kapazität: 600.000 intermodale Transporteinheiten jährlich

Die Automatisierungstechnologie von Camco Technologies umfasst:

  • OCR-Kameraportal an den Einfahrten für automatische Identifikation
  • Rail OCR Portal für automatisierte Zuginspektion
  • Automatisierte Gate-Spuren mit Fahrer-Kiosken und LPR-Technologie

Im Durchschnitt werden 325 LKW täglich abgefertigt, in Spitzenzeiten bis zu 600.

7.3.Warehouse-Automatisierung: Transalliance und Kuehne+Nagel

Transalliance Dudelange implementierte im September 2024 eine Scallog Goods-to-Person-Lösung:

  • 950 m² mit 283 mobilen Regalen
  • 14 Roboter, 2 Pick-/Replenishment-Stationen
  • Ergebnis: Dreifache Lagerproduktivität

Kuehne+Nagel Luxembourg betreibt 100.000 m² Lagerfläche. Das Fulfillment-Center in Contern (34.000 m²) verfügt über die größte Photovoltaikanlage Luxemburgs und dreistöckige Hochgeschwindigkeitssortierung.

8.Infografik: 6 Automatisierungstrends für Luxemburg 2025

Die folgende Infografik fasst alle sechs Schlüsseltrends zusammen – von KI-Integration über Edge Computing bis zur Logistik-Automatisierung. Nutzen Sie diese Übersicht als Referenz für Ihre Automatisierungsstrategie.

Infografik: 6 Automatisierungstrends 2025 - KI, Edge Computing, Grenzüberschreitende Kooperation, Retrofit, Cybersecurity, Logistik

9.Fazit: Chancen für lokale Expertise

Die Großregion Saar-Lor-Lux bietet 2025 ein einzigartiges Automatisierungs-Ökosystem: hohe Investitionsbereitschaft bei führenden Unternehmen, starke Forschungsinfrastruktur durch ZeMA, DFKI und LIST, akuter Fachkräftemangel als Treiber, und umfangreiche Förderprogramme.

9.1.Handlungsempfehlungen für Entscheider

  1. Nutzen Sie den L-DIH: 100% subventionierte Digital Maturity Assessments als Einstieg
  2. Prüfen Sie SME Packages: Bis €25.000 bei 70% staatlicher Förderung für AI und Cybersecurity
  3. Retrofit vor Neuinvestition: 18-24 Monate ROI statt 4-6 Jahre
  4. Bereiten Sie NIS2 vor: OT-Security-Audit bis Q2 2025
  5. Nutzen Sie grenzüberschreitende Ressourcen: ZeMA, Robotix-Academy, Fraunhofer bieten Testumgebungen

9.2.Wichtige Anlaufstellen

  • Luxembourg Digital Innovation Hub (L-DIH): Kostenlose Assessments und Test-Before-Invest
  • Luxinnovation: Nationale Innovationsagentur, EU-Programme
  • FEDIL: 750+ Mitglieder, 95% der Industrieproduktion
  • Chambre de Commerce: House of Entrepreneurship, 95.000+ Unternehmen

Die Besonderheiten – KMU-Dominanz, Mehrsprachigkeit, Grenzgänger-Struktur – erfordern spezialisierte Ansätze, die sich von standardisierten deutschen Lösungen unterscheiden. Für Automatisierungsingenieure mit regionalem Know-how bietet sich die Positionierung als Brücke zwischen internationaler Technologie und lokalen Anforderungen an.

10.Weiterführende Ressourcen


Über den Autor: David Prybisch ist Automatisierungsingenieur mit Sitz in Stadtbredimus, Luxemburg. Er unterstützt Unternehmen in der Großregion Saar-Lor-Lux bei SPS-Programmierung, HMI-Entwicklung und weltweiten Inbetriebnahmen.

Schlagwörter

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